Die fünf Tage von Tritonus – Teil 6

21. April 2010
Noch ein halber Mittwoch: Noch mehr Songs anhören
15.02 Uhr
Essen! Diesmal geht’s nicht raus, Falafel, Halumi und sonst was.
Beim Essen geht’s um Personalien – etwa die Besetzung des Posten des FOH-Mannes auf der Tour. FOH? Ah, Front Of House. Das, was der Laie landläufig als „den Mischer“ bezeichnen würde, aber es ist natürlich alles komplizierter. Es gibt nämlich mehrer Mischer bei einem Konzert. Aber das gehört jetzt nicht hier her. Oder doch?

Die Diskussion diffundiert hinüber zu den Themen Coverartwork und Albumtitel. Beides steht beileibe noch nicht fest, aber beide hängen letztlich irgendwie zusammen. Es ist so ein bisschen die Huhn/Ei-Frage: Folgt der Albumtitel dem Bild? Das Bild dem Titel? Und: Soll es ein Cover mit Foto sein oder lieber was Grafisches? Und: Irgendein Foto oder ein Bandfoto? Danny gibt sich im achten Jahr seiner Zusammenarbeit mit den notorisch unentschlossenen Helden keinen Illusionen mehr hin: „Sorry, wenn ich das so direkt sage, aber bei Euch wäre es wahrscheinlich gut, wir würden gleich von Anfang an zweigleisig fahren.“

15:40 Uhr

Nach dem Essen zeigt Jean ein paar Cover-Idee-Entwürfe, die er auf Basis von eigenen Fotos zusammengezimmert hat, um mal ein paar kreative Nachdenkprozesse in ein paar Richtungen anzuschieben. Die Band und Danny versammeln sich um seinen Laptop und schauen sich die Bilder an. Die Fotos sind natürlich von Jeans La-Palma-Urlaub. Der nutzt doch tatsächlich jede Gelegenheit, seine Urlaubsfotos an den Mann zu bringen … Aber sie sind künstlerisch wertvoll. Was?

16:06 Uhr

Zurück jetzt in die Regie. Weiter geht’s mit der heutigen Mission, mal alle Songs in ihrem bisherigen Stand der Dinge abhören. Jetzt: „Die Wespe“. Eine Art oriental-Pop-Groove mit einer sambahaften Anwandlung und Breaks mit Arschschüttelzwang. Ein ziemlich straight biologisch aufklärender Song über Wespen und wie und warum sie ärgerlich sind. Metapher-Ebene „Bundesregierung“ liegt nahe und ist wohl auch beabsichtigt.

„nein ich mag die Wespe nicht
die Wespe sticht, die Wespe sticht“, singt Judith.

„Sorry to be so profane, but … the percussion?“ Pola vermisst einmal mehr die Zuspielung der Percussion-Spur. Judith und Pola sind sich jedenfalls sicher, dass für „Die Wespe“ schon „lots of percussion“ vorhanden sein müssten. Ian hingegen ist überzeugt, dass für den Song noch keine Percussion aufgenommen wurde. Mark könnte jetzt auch nichts Genaueres sagen, aber da war doch was: „I remember leaving Berlin and leaving you behind with the idea of recording percussion.“

Noch etwas fehlt: Schon wieder ist Ians Bleistift weg!

Ian: „Has anybody seen my pencil?“
Alle: „Oh noooo! Your bloody pencil!“
Ian: „I can’t work like this.“

Jean hat offenbar schon länger ein Problem mit diesem Song, er fand ihn bisher wohl zu „wützüsch“. Das hat sich etwas relativiert: „Now it’s not comedy, it’s weird. But I still don’t like the pad.“ Ein „pad“ (engl. Matte, Feld, Polster) ist ein Synthiesound, der eine Fläche macht. Und der hier in „Die Wespe“ steht bei Jean im Verdacht, Pet-Shop-Boys-mäßig zu klingen. Wäre das so schlimm? Das diskutieren Sie am besten mit Jean selber aus.

Mark gibt zu bedenken: „Du kannst keinen unendlichen Loop bouncen.“ Und das ist doch wirklich mal ein Satz, den man in Stein meißeln möchte.

Pola: „I like ‚Die Wespe’, but it’s not a central song.“
Ian: „No. I think we all agree on that.“

Nachtrag aus der Zukunft: In der Tat wird es „Die Wespe“ am Ende nicht aufs fertige Album schaffen, aber immerhin zur B-Seite der ersten Single erkoren werden.

16:30 Uhr

Geplauder. Ian erinnert sich, wie Mark ihn im Vorfeld ihrer Zusammenarbeit besuchte und ihm ein Tape in die Hand drückte mit den Worten: „These are our new demos.“ Es waren aber die Demos einer anderen Bands, irgendwelche ziemlich schreckliche Musik. Ist Ian drauf reingefallen? „No, I knew straight away that you’re winding me up.“ Aber er wusste von da an: Der hier, Mark, ist der Witzbold in der Band. „I think that was the test I had to pass.“

16:38 Uhr

Jetzt: „Was uns beiden gehört“.

Pola: „Auf dem sind jetzt aber lots of percussion.“
Ian: „You know what: We’ll put all the percussion on one song.“

Hitverdacht! Der Groove – wiederum so ein oriental-balkanbeat-Arschschüttel-Gerät – wird vorgegeben vom Akkordeon, aus dem Bassregister. Wechselbass und so.

Jean vermisst die Banjo-Spur, die hier auch noch irgendwo sein müsste. Ian drückt auf ein Knöpfchen – da ist das Banjo! Die Helden sagen zu dem Instrument übrigens nicht englisch „Bänscho“, sondern „Ban-jo“, wie zu dem 80er-Jahre-Knusperkeksriegel. Eine Bandmarotte oder ist das „im business“ normal?

16:55 Uhr

„Auge des Sturms“.

Noch ein sehr roher Track, aber klar ist: Das ist mal definitiv kein typischer Helden-Song. 70er-Jahre-Bluesrock-Stampfgroove mit Banjo und Hammondorgel als Ton angebenden Instrumenten, Judiths Gesang irgendwie cooler, trockener, abgeklärter als gewohnt. Ja, sagt Judith: „That’s my Grace Slick moment.“ Fette Gitarre mit kaskadischem Riff. Und es braut sich langsam immer mehr Sturm zusammen um Judiths Stimme, immer lauter, immer mehr Instrumente, immer intensiver.

„Still im Auge des Sturms“, singt Judith.

Ist der Song schon reif, um morgen der Plattenfirma vorgestellt zu werden?

Ian: „What is it, a maybe?“
Pola: „It’s a definite.“
Jean: „It’s a definite maybe.“

Pola zeigt sich speziell zufrieden über Jeans Mitarbeit.

Pola: „I’m pretty happy that we kept Jean in the band for that album. Because otherwise… wüsste ich nicht, ob wir schon so weit wären.“
Ian: „I’m glad I talked you into it.“
Pola: „Yeah, I mean, it was your decision.“

17:19 Uhr

Die Stimmung ist jetzt etwas euphorisiert, weil sich alle so über „Auge des Sturms“ freuen.

Der Song mit dem Arbeitstitel „Kreise“. Der Arbeitstitel wird letztlich auch der richtige Titel sein. An dem Song muss noch einiges gemacht werden. Es gibt noch keine Gesangsspur, nur zurechtgeschnippelte Demo-Vocals.

Pola bringt eine Tasse Tee für Ian.
Ian: „Ah. You made it just as I like it. Half-empty.“
Oder ist die Tasse doch eher halb voll?
„That’s okay. I’m a possimist.“

17:28 Uhr

„Meine Freundin war im Koma“, voller Titel letztendlich: „Meine Freundin war im Koma, und alles, was sie mir mitgebracht hat, war dieses lausige T-Shirt“. Eine extrem fragile, anrührende „Ballade“ (schlimmes Wort, toller Song).

Nur sehr spärliches Piano und Judith gaanz nah am Mikro, dass man sie fast atmen hört. Mark meint, der Gesang klingt vielleicht etwas dumpf: „Es klingt wie Judith mit einem Eimer auf dem Kopf und dem Mikro drunter. A bit muffled.“ Ja, aber du bist mit ihr drin im Eimer. It’s very intimate.

„wir wollten alle gerne ein Souvenir vom Tunnelende
Aber du hattest selber viel Gepäck und ich weiß
du hast nur zwei Hände“, singt Judith.

Auf der Demoversion hier hat Judith selber Klavier gespielt. Und dass es ein „slightly less skilled playing“ ist, macht den Song mit aus.

Ian: „The piano is very near the nerve.“

Pola mag, dass das Piano klingt wie „a piano in shock“, „like a broken engine“. Und dass man die kleinen Pausen hört, wenn der nächste Akkord gesucht wird.

Das „professioneller“ gespielte Piano in der zweiten Version ist Ian „a little bit too beautiful“. „The charming unskilled piano player“ macht’s aus. Soll man den Song noch mal aufnehmen oder die Demoversion nehmen? Man tendiert dazu, das Demo genau so zu verwenden.

Jean schlägt vor, eventuell ein paar „atmospheric noises“ drunterzulegen, vielleicht mal einen Ring modulator probieren. Judith meint, das könnte den Song in seiner Wirkung wegholen von dieser ganz einfachen, intimen Atmo. „It’s very stark and it should stay that way.“ Es solle wirklich so klingen: So, jetzt hat die sich einfach hingesetzt und diesen Song gespielt.

Pola muss jetzt weg, Friedrich aus der Kita abholen.

18:10 Uhr

Welche und wie viele der Songs wählt man jetzt aus, damit der Plattenfirmenmann einen richtigen, runden Eindruck bekommt von der Platte? Auf jeden Fall rät Ian dazu, das jetzt nicht zu sehr zu verkopfen. „You want him to walk away thinking ‚this is going to be great’. Not ‚how will this relate to the market?’“

18:15 Uhr

Ein Song fehlt noch, sagt Judith. Und zwar „Nichts, was wir tun könnten“, von dem bisher nur die Demoversion existiert, die Ian aber gern genau so nehmen möchte. Diese Version ist schon ein gutes Stück alt, hochschwanger eingesungen von Judith unter dem Eindruck der „ultimativen Verwundbarkeit“ (Judith), der man sich ausliefert, wenn man Kinder bekommt.

„was unter Schmerzen geboren wird
muss unter Schmerzen verloren gehen
es gibt nichts, was wir tun könnten
Außer uns auszuruhen“, singt Judith.

Die Aufnahme haben Judith und Jean gemeinsam gemacht. Eine gezupfte, leicht angezerrte Gitarre. Dann kommt zur zweiten Strophe eine warme Keyboard-Fläche und ein Feedback-Brummen, zarte Gitarren hallen im Hintergrund.

Jean sagt, er hat den Song jetzt schon hunderte Male gehört, weil er ihn in der Playlist hatte, die er und seine Frau mit ihrem neugeborenen Sohn zum Einschlafen hörten. Judith ist erstaunt: „Du Masochist!“

Man ist sich einig, dass diese Demoversion gut ist, wie sie ist und so für die Platte verwendet werden soll, ohne noch etwas neu aufzunehmen. Judith hat da nur noch eine bange Frage: Sie ist sich nicht ganz sicher, stimmt das grammatikalisch, „nichts, WAS wir tun könnten“? Oder müsste das heißen „nichts, DAS wir tun könnten“? Es stimmt. Gottseidank.

18:46 Uhr

Jörg verabschiedet sich. „See you tomorrow.“
Ian: „See you tomorrow. We’ll still be having this conversation in the morning.“

Alle Verbliebenen – Judith, Mark, Jean und Ian – sitzen jetzt mit ihren Notizblöcken im Kreis und beraten, was für Songs für die Vorspiel-Session morgen auszuwählen wären. Hängt auch davon ab, was und wie viel bei welchem Song noch zu machen ist, um ihn vorzeigbar zu machen. Stellt sich raus: Das allermeiste, was noch zu tun ist, sind Vocals. Sieht nach viel Arbeit für Judith aus morgen.

19:24 Uhr

Die Versammlung löst sich langsam auf, am Ende bleiben Mark und Ian zurück, die noch an Sachen tüfteln wollen. Ian rechnet offenbar mit einer längeren Nachtschicht, später will er noch ein paar Entwicklungen weitertreiben. „I’m gonna play with ‚Alles auf Anfang’ tonight“, verspricht er.

Fortsetzung folgt …

Seien sie auch nächstes Mal wieder dabei, wenn herauskommt, was es mit dem „psychosis part“ in dem Song „Was uns beiden gehört“ auf sich hat, der Wert des Schaffens von Dolly Parton diskutiert wird und Ian Davenport Judith Holofernes warnt: „Be careful with the Bart!“ – und das wider Erwarten NICHTS mit Pola Roy und seiner epischen Gesichtsbehaarung zu tun hat.