Die fünf Tage von Tritonus – Teil 2

19. April 2010
Noch ein halber Montag
14:34 Uhr

MITTAGSPAUSE

Beim Italiener wird stilecht über Polizeiärger auf Tour wegen vermeintlichen Drogenbesitzes erzählt (von Ian), über Studio-Equipment und die Freuden und Leiden des Studioeigners gefachsimpelt (von den vier Herren) und das Baby gestillt (von Judith).

Nudeln. Gegenüber vor dem Lido wird ein im Halteverbot abgestelltes Auto abgeschleppt, damit der Tourbus von Ellie Goulding endlich ordentlich parken kann.

Ian verabschiedet sich vorzeitig von der Runde zurück ins Studio, ein paar Sachen nach- bzw. vorbereiten. Die anderen können sich Zeit lassen, sagt er.

16:40 Uhr

Wieder im Studio. Judith ist nicht mit zurückgekommen, weil Ian ihre Gesangsspuren, die „eigentlich nur zur Orientierung für die anderen gedacht waren“, für gut befand und sie also (vorerst) nicht mehr gebraucht wird.

Ian ist schon seit fast einer Stunde wieder an einem Arbeitsplatz und dort dabei, konzentriert die Aufnahmen vom Mittag durchzuhören. Was machst du? „Picking the takes.“ Mit einem Spiralblock und seinem sorgfältig angespitzten Bleistift sitzt er vor dem Monitor, auf dem der jeweilige Track aufgedröselt in Wellen- und wurstartig verlaufenden Hüllkurvendiagramme, Zeitspuren und irgendwelche Zahlenraster dahinläuft.

Ians Bleistift, Härtegrad HB, ist sehr wichtig. Mit anderen Stiften mag er nicht gern schreiben, zudem scheint sein Bleistift HB einen gewissen Talisman-Wert für ihn zu besitzen. Wenn Ians Bleistift HB verschwunden ist – was mysteriöserweise immer wieder mal passiert – kann das zu Zeitverzug im Ablaufplan führen. Erst muss der Bleistift gefunden werden.

Ist das der schwierigste, die meiste Konzentration erfordernde Teil der Arbeit? Herauszusuchen und zu entscheiden, welche Passagen der aufgenommenen Musik die gelungensten sind? Wir hören immer und immer wieder Jeans Piano-Spur, der warme Klang jetzt auf den großen Lautsprechern. Ian drückt ab und zu die Maus, hackt irgendwas ein und macht eine Notiz auf seinem Block. Was genau passiert hier? Ian vergleicht die Takes und macht „Comps“, „compilations“, Kompilationen der besten Teilen des einen Takes mit den besten des anderen. Hört einen Takt, springt zurück, hört ihn noch mal, springt an eine ganz andere Stelle, hört noch mal den zweiten Takt des wieder anderen Takes und entscheidet sich für einen. Und irgendwann ist da der perfekte Piano-Part.

Kommentar Judith: Oder, wenn es Gesänge betrifft, am Ende auch gerne das perfekte Wirrwar, wie zum Beispiel geschehen bei einem anderen Song namens „Die Wespe“:

Wenn sie sich am Brot verheben
musst du ihnen nichts vergeben
Bleiben sie ihr ins Gesicht
Nein, ich mag dich Wespe nicht.

Das passiert, wenn der englische Produzent um zwölf Uhr Nachts alleine im Studio beschließt, dass ein Lied kürzer sein könnte. Womit er Recht hat. Und eine Wespe, die ihr ins Gesicht bleibt, kann ja auch tatsächlich fliegen wo der Pfeffer wächst.

16:52 Uhr

Draußen am Küchentisch erzählt Jean, was er an Ian als Produzent besonders schätzt. Ian hat ein Gespür für spielerische Vibes. Er nimmt die Musik ohne festes Zeitraster auf, ohne einen zugespielten elektronischen Clicktrack, zu dem die Musiker spielen. So können die Tracks mehr „atmen“, aber trotzdem wirkt alles sehr tight. Und von wegen Clicktrack: idealerweise sollte ja der Drummer der Clickmann sein.

17:02 Uhr

Ian ist fertig mit „Compen“ der Piano- und Gesangsspuren von „Bring mich nach Hause“.

Jean: „Did you make any loops?“
Ian: „No loops.“

Jean ist erleichtert, weil Ian keinen Loop gemacht – also eine gelungene Passage mehrmals aneinandergebaut – hat in seinem Comp aus Pianoparts für „Bring mich nach Hause“. No loops. Offenbar eine Art Leitsatz für Musiker, die was auf sich halten. No loops!

Judith kommentiert: Na hoffentlich ist das ein Leitsatz! Wenn man nämlich immer den gleichen Takt oder die gleichen zwei Takte aneinander schneidet, dann hört das auch der taubste unter den Laienhörern. Im Volksmund wird so was dann gerne mal als „polierte Scheiße“ bezeichnet. Oder als Euro –Dance.

Die Bandmaschine spinnt wieder, letzte Woche ging das los. Erst dachten sie, die Maschine sei irgendwie defekt. Aber es ist das Band selbst. Seit die meisten Studios auf digitale Aufnahmetechnik umgestellt haben, ist der Markt für Profi-Studio-Tapes völlig zusammengebrochen, viele der alten Qualitäts-Hersteller gibt es nicht mehr. Und jetzt haben sie hier dieses Tape eines Herstellers, den Ian gar nicht kennt, und das ist offenbar nicht das Gelbe vom Ei. Es ist klebrig und hinterlässt Schlieren auf den Tonköpfen. Ian reinigt zum dritten Mal heute die Tonköpfe, das Wattestäbchen hat einen grauen Kopf.

Diese Probleme hatten sie schon letzte Woche – und das konnte man hören? „Ja, das konnte man hören“, sagt Ian. „Weil die ganze Bassdrum verschwunden war.“

17:15 Uhr

Auf den Piano-Gesang-Track von „Bring mich nach Hause“, der vor der Mittagspause aufgenommen wurde, soll jetzt das Schlagzeug gelegt werden.

Polas sitzt in der Glasbox im Aufnahmeraum, aber sein Einsatz verzögert sich, weil jetzt ProTools abgestürzt ist. Ian holt Thomas, den Studiochef, sie starten das Programm neu.

Draußen in der Küche stöbert Mark im Internet nach Haushaltswaren. Er braucht Vorhangschienen für sein kleines Studio in Hamburg und verzweifelt langsam an der schönen Online-Konsumwelt. „Da sind so Aufhänger, da steht genau, wie groß die sind und wie viele Kilo die tragen können, aber nicht, wie viele in der Packung sind. Kannst du schön bestellen, aber du weißt nicht, wie viel du kriegst.“ Tja. Es lebe der Einzelhandel?

17:34 Uhr

One bar is enough. Ein Insider running gag offenbar. Alle lachen über „one bar is enough“, der Protokollant rafft null.

Judith kommentiert: „One bar is enough,“  also „Ein Takt reicht“ ist natürlich die Antithese zu „no loops“. Ein Takt ist nur dann genug, wenn man ihn loopen will, also Scheiße zu Eurodance polieren. Wenn wir uns also einen abkrepeln, dann sagt Ian „Never mind. One bar is enough“, und dann wissen wir, dass wir vielleicht noch mal ein bisschen in uns gehen sollten, rhythmusmäßig.

Erster Take für die Overdubs von Pola. Noch klitzekleine Abstimmungs/Verständigungsprobleme zwischen Pola und Ian.

Ian: „I don’t longer know what’s going on.“
Pola: „I heard my right cymbal.“
Ian: „Yeah, I thought that was you playing it.“
Pola: „No.“

Eine Geistercymbal? Crazy.

Endlich ist es so weit. Der erste Take mit Pola.

Mark draußen in der Küche hat eine Gitarre umgehängt, übt ein bisschen darauf herum und ist parallel weiterhin erfolglos am internetshoppen. „Ich scheitere hier wirklich an der einfachen Aufgabe, Vorhangschienen online zu bekommen …“

17:56 Uhr

Skepsis im Control Room. Noch während Pola den zweiten Take trommelt, murmeln sich Ian, Jörg und Jean zu, dass das nicht so richtig hinhaut mit dem Drumgroove. Der korrespondiert nicht wirklich organisch mit dem Klavier-Vocal-Track.

Jörg gibt zu Bedenken, vielleicht hätten sie jetzt den Song so viel gehört und so gut geprobt, dass sie es noch mal versuchen könnten, ihn live zusammen aufzunehmen. Jean pflichtet ihm bei. „Jetzt haben wir so oft gehört, was beim Piano gut ist und was nicht …“

Die Entscheidung fällt relativ unkompliziert und flott. „This is almost working, but the defining word in this sentence is ‚almost’“, funkt Ian an Pola. Drum würde Ian jetzt gern wieder die ganze Band zusammentun und sie noch mal alle miteinander aufnehmen.

Pola kommt aus der Trommelkabine in die Regie. „Sorry, I tried. It’s really hard to follow somebody and to also have a groove.“ Es hat nicht hingehauen, dass Pola sich auf das Klavier draufsetzt, also: musikalisch gesprochen.

Der Protokollant staunt über die offenbar ohne große Schmerzen getroffene Entscheidung, jetzt noch mal neu anzufangen. Kann man sagen, dass der ganze Nachmittag umsonst war? Nein. So was ist im Grunde ganz normal, das gehört einfach zur Annäherung an so ein doch etwas diffizileres Stück. „Dass man so nen Song nicht mal eben auf einer Arschbacke einspielt, war ja klar“, sagt Jean. Und man merke es an der Erfahrung eines Produzenten, sagt Jörg, wie schnell so eine Entscheidung dann fällt. Ian sei da sehr instinktsicher. „Er hat Pola jetzt zweimal spielen lassen, und dann war ihm klar, dass das so nichts wird. Ein anderer Produzent würde vielleicht noch einen Tag länger rumprobieren lassen – und am Ende würde man doch wieder zurückgehen zur Ausgangsposition.“

Pola: „Oder vielleicht lassen wir’s gut sein und tun den Song gar nicht auf die Platte. Ich mag ihn eh nicht so. Das ist mehr so Judith. Ich muss ihn halt toll finden, weil ich halt ihr Mann bin …“
Ian: „Are you serious?“
Pola: „No.“
Ian: „It’s a great song.“
Pola: „Yeah, I know.“

Judith soll angerufen und zurück ins Studio gelockt werden zum Livegesang, aber ihr Handy ist leer. Dann wird eben jetzt mal vorbereitet und Judith steigt ein, wenn sie wieder da ist.

Jetzt wird’s richtig analog-organisch knuffig im Aufnahmeraum. Jörg zieht mit seinem Bassverstärker zu Pola in das Trommelaquarium, „to get a bit of rhythm section relationship going“, sagt Ian.

18.30 Uhr

Judith ist zurück aus der Stadt. Sie hat ein paar Besorgungen gemacht, war auf der Post und ist nicht direkt TOTAL begeistert, dass sie jetzt doch noch mal in die Gesangsbox muss, weil sie da draußen drei Stunden lang in der „Pollen-Rush-Hour“ unterwegs war und sich leicht nasenvoll fühlt.

Mark muss sich abseilen, weil er eine lang anstehende Verabredung hat und seine künstlichen Trompeten später auch als Overdub gemacht werden können. Jetzt geht’s vor allem mal um das Zusammenspiel von Rhythmus-Sektion (Schlagzeug & Bass) und Piano nebst Gesang.

18:40 Uhr

Zweiter Take der zweiten Live-Session.

Kinder in da house! Draußen ist die Babysitterin mit den zwei Kindern von Judith und Pola angekommen, Mama und Papa müssen aber grad noch musizieren.

Die Sonne, die durch den zugezogenen Vorhang fällt, hat schon eine gewisse Abendmilde. Allmählich passen sich Tageszeit und Lichtstimmung dem Song an.

Ian ist erfreut von dem, was er jetzt hört: „Jean, you’re playing it really well.“

18:50 Uhr

Dritter Take – Abbruch. Der Protokollant sabotiert den Fortgang der Session, indem er sein Laptop-Kabel in eine der vielen Mehrfachsteckerleisten stöpselt, die in der Regie herumliegen. Und in dem Moment, da sich die Steckerstifte in die Dose senken, bricht der komplette Ton weg. Offenbar hat irgendeine Spannungs-Interferenz-Bla einmal mehr ProTools abschmieren lassen. Ian muss neu booten, eine Zwangspause tritt ein. Hoffentlich geht der gute Vibe jetzt nicht verloren, hofft der Protokollant.

In der Zwischenzeit werden in der Küche Kinder ernährt und im Aufnahmeraum gefachsimpelt. Jean erklärt den verständig nickenden Umstehenden sein Brett voll mit Fußpedal-Gitarreneffektgeräten, das durch irgendeine checkermäßige Technik-Innovation neuerdings offenbar optimal stromversorgt ist. Als Laie möchte man meinen, so eine optimale, ausgewogene Stromversorgung sei, nun: normal. Ist sie aber nicht. Man braucht unter Umständen checkermäßige Innovationstechnik dafür. Es ist von Signalpfaden und Impendanzen die Rede und davon, dass man bei Single Coils ja nie gefeit ist vor Störsignalen. Wollt grad sagen…

19:05 Uhr

Dritter Take der zweiten Live-Session für „Bring mich nach Hause“.

Das Licht wird noch etwas gedimmt im Aufnahmeraum, jetzt ist es wirklich bald perfekt passend. Das nennt man „mood setting“. Andere Bands bezahlen wahrscheinlich jemanden dafür.

„Ich brauch einen Freund mit weiten Armen
ich brauch einen Freund, der kein Erbarmen kennt
der mich zu Boden ringt, ich tobe und rase
ein Tuch mit Äther über Mund und Nase
ich brauche tiefe, schwarze Nacht
ein Gift gegen den Schmerz in meinen Gliedern“, singt Judith

Jetzt läuft’s. „Sehr schön, Leute, ich lass das Band laufen, wir machen gleich noch einen“, lobt Ian. Nahtlos geht’s weiter, Take vier.

Jean vorhin: Es sei interessant, mehr und mehr dahinter zu kommen, was so die Dinge sind, auf die Ian speziell Wert lege, was er eher locker sieht und wo er dann auch mal pingelig werde. Manchmal sei man ganz überrascht, wenn er nach zwei Takes sage, „okay, im Kasten“. „Und andere Sachen lässt er dich dann auch 30mal spielen.“

19:19 Uhr

„Great. Looks like we’re really cooking at the moment“, diagnostiziert Ian und ordnet umgehend einen weiteren Take an. „Ich habe noch Platz für einen auf dem Band.“

Sofort im Anschluss: Take fünf.

19:26 Uhr

Abhören des letzten Takes.

Judith verrät: „Der Song bekommt später noch so tierische Backing Vocals. Da hab ich mit Jean schon ein Demo gemacht.“ Ganz „dunkle“ Backup-Gesänge sollen noch dazukommen. Und: ein Posaunenchor! Oho!

Judith sagt, ihr wäre es sehr lieb, wenn sie den Song noch mal machen könnten. Ihr missfällt die „pollen texture“, die ihr Gesang momentan noch habe.

Judith kommentiert: Nee, lieber Protokollant, das war ein Missverständnis – auch wenn das, was du verstanden hast, logischer erscheinen mag. Ich wollte das tatsächlich noch mal machen, gerade weil mir die „Pollen Texture“ meiner Vökels GUT gefallen hat, aus irgendeinem Grund. Am Anfang dachte ich zwar, das wird nischt, aber als ich mich dann warm gesungen und mir die Nase mit Nasenspray freigebombt hatte, blieb nur noch so ein kleiner Rest von Verquiemeltheit auf der Stimme, den ich für dieses Lied eigentlich ganz passend fand. Daher wollte ich gerne noch mehr machen, damit man das für den Fall, dass es einem am nächsten Tage noch gefällt, auch wirklich benutzen kann.

Man sitzt um das Mischpult und hört konzentriert den letzten der Takes. Es werden Feinheiten besprochen, die jeder festgestellt hat. Ian merkt an, dass Jörgs Bass vielleicht einen Tick zu „weit vorn“ ist und Jean sagt, er finde, „the last tom“ sei immer etwas zu früh. The Last Tom. Guter Titel für einen Endzeit-Roman.

Judith bittet den Protokollanten, ihr eine Flasche Wasser aus der Küche zu holen. Sie traut sich gerade nicht raus, weil da die Kinder sind und sie sonst sofort von ihnen verhaftet wird.

19:38 Uhr

Das Tape ist aufgewechselt. Es kann weitergehen.

Pola: „So, let’s do three, four in a row, okay?“

Okay.

„und dort erst auf der Schwelle will ich verbluten, wenn ich still bin soll der Regen jede Zelle fluten“, singt Judith.

19:42 Uhr

Notruf bzw. Notwinken aus der Gesangsbox: Judith braucht ihr Nasenspray. Während die Männer die lange Fade-Out-Spur des Songs spielen und rechtzeitig, bevor sie wieder singen muss, dopt sie sich flugs die Nase frei.

„That’s exactly the tempo“, sagt Ian. Er schlägt nur vor, vielleicht in der zweiten Strophe einfach mal die Toms wegzulassen. Weil sie entweder immer etwas zu früh oder zu spät dran sind. Aber jedenfalls: „The tempo is perfect.“

19:45 Uhr

Direkter nächster Take.

19:53 Uhr

Und noch ein Take. Der letzte wohl.

„One more“, sagt Ian, „and then we have everything we need. If we don’t already.“

19:59 Uhr

„Nailed“, meint Ian. Das Ding wäre also im Kasten, aber Judith würde gern noch mal über einen der Takes singen, weil sie nicht so glücklich mit ihrem Gesang speziell im Refrain zu sein scheint.

Aber bevor hier jetzt rumgespult und der tollste Take gesucht wird, spielen sie einfach noch eine Runde für Judith. Zum ca. 634. Mal ertönt also die wohlbekannte Piano-Figur, die man jetzt doch schon so langsam auswendig kann.

20:09 Uhr

Ian gratuliert der Band zu deren erster Prog-Rock-Aufnahme, zumindest was die Länge angeht. 8 Minuten 22, ein extralanger Take war das, diverse Takte länger, damit Judith ein paar Refrains ausprobieren konnte. 8:22 Minuten – schön und gut, aber auch nicht direkt „Atom Heart Mother“, nicht wahr? „No“, bestätigt Ian.

Pola kommt aus der Trommelbox rüber in die Regie rein und schenkt uns eine Information: „I am the greatest!“ Ach?

20:11 Uhr

Judiths Stimme ist ziemlich wunderbar aufgewärmt, sie macht zusammen mit Ian jetzt noch ein paar Gesangs-Takes.

20:20 Uhr

Stillpause! Die hochkonzentrierte Sängerin muss mal eben aus der Box und rüber in die Wohnküche, ihr Kind nähren. Dann stiehlt sie sich wieder zurück ans Mikrophon.

Pola müht sich derweil, den zunehmend ungeduldigen Sohn mit selbstgedrehten MPEG-Filmchen bei Laune zu halten. „Sollen wir noch zwei Filme gucken?“ – „Oder drei!!!“ The magic dad.

Judith kommentiert: So was machen wir natürlich nur gaaanz ausnahmsweise. Nicht das mit den Filmchen, das machen wir andauernd, aber das wir die Kinder bis fast neun im Studio festhalten. Aber bei diesem Lied waren wir so kurz davor, und da wär´s doch so schade gewesen… außerdem hat es natürlich den Vorteil, dass am Ende zwei nachttrunkene Kinder im Auto einschlafen. Und unsere wachen dann netterweise einfach nicht wieder auf, bis morgens!

Drüben in der Regie fachsimpeln Judith und Ian gerade über etwas. „The Christmas specials are never quite as good actually …“, stellt Ian fest. Wat? Sie reden von „Dr. Who“, einer britischen Kultserie, von deren Qualitäten Ian Judith und Pola überzeugen möchte. Ian ist riesiger Fan und hat Judith und Pola eine DVD-Box geliehen, aber hey: Weiter geht’s.

20:31 Uhr

Ian: „I’d like you to try the first part of the second verse just a tiny bit more broken.“

Ein klein bisschen mehr gebrochen soll Judith klingen.

Judith kommentiert: so lange er nicht sagt, ich solle sexsüchtig singen! Das hatte bei unserer ersten gemeinsamen Aufnahme für ein ganz anderes Lied gelinde gesagt für Verwirrung gesorgt. Bis sich dann nach 20 Minuten Debatte, einer Duellaufforderung von Polas Seite und der schlichtenden Befragung eines Übersetzungsprogramms rausgestellt hat, dass er sich eigentlich eine sehnsüchtige Darbietung gewünscht hatte. Oder auch wächmüchtig. Jean wollte er allerdings auch mal dazu animieren, ein Riff hauteng zu spielen – und meinte damit noch nicht mal „tight“, sondern „slinky“ (hauteng, aber auch, und das war wohl gemeint, „aufreizend.“)

Dann sagt Ian die magischen Worte: „Okay. One for luck.“
Ian: „Good for me. Good for me. Good work.“
Judith: „Do you think we have enough?“

Judith würde jetzt gern noch weiter singen jetzt, weil sie grad so schön aufgewärmt ist und Lust hätte, aber es gibt a) nicht mehr so sinnvoll was zu singen, das heißt: es ist alles im Kasten, was momentan gebraucht wird und b) hat die Babysitterin abends keine Zeit.

Judith kommentiert: Das ist dieses Mal tatsächlich nicht so einfach gewesen für Pola und mich – und für Jean bestimmt auch. Eigentlich funktioniert so eine Studiozeit so, dass man am Anfang ein- und dann irgendwann am anderen Ende wieder auftaucht. Und seinen Freunden sagt man am Besten, man sei in Australien, weil es am Ende eh auf das Gleiche rauskommt. Aber durch die Kinder ist man natürlich immer wieder gezwungen, Kontakt zur Realität zu halten. Für die seelische und sonstige Gesundheit vielleicht ganz gut, aber nicht immer ganz einfach, wenn man mal wieder eine gute Aufnahme abbrechen muss, weil die Kinderlein ins Bett gehören. Am Ende sind wir dann tatsächlich oft ins Studio zurückgefahren, wenn beide geschlafen haben, und ein paar Stunden drangehängt. Was wiederum für die Allgemeingesundheit auch nur so mittel ist, aber Spaß macht, weil es für junge Eltern ja schon ein Riesen –Thrill ist, nach Einbruch der Dunkelheit draußen zu sein.

Ians ansonsten einigermaßen unerschütterliche Stimmung trübt sich etwas ein (als Außenstehender merkt man’s kaum), weil er beim Überspielen der Tape-Aufnahmen auf ProTools feststellen muss, dass bei den letzten paar Takes etwas mit den „Signalen“, also: der Aufzeichung von Judiths Gesang nicht stimmt. Ein technisches Problem, dem noch auf den Grund gegangen werden muss.

21:04 Uhr

Judith, Pola, die Popmusikerkinder und der Protokollant sind für heute raus.

Die beiden Berlin-Strohwitwer Ian und Jean machen jetzt zusammen noch eine Nachtschicht. Was wird da passieren? „Wir machen jetzt diverse Keyboards“, sagt Jean und schleppt schon Tasteninstrumente herum, aus denen er sich in der Regie ein gemütliches Nest baut.

Ian macht grad noch ein paar „comps“. Noch ein paar Mal tönt das Piano-Motiv von „Bring mich nach Hause“ durch die Räume. Spricht es für eine Melodie, wenn man sie nach sieben Stunden immer noch hören mag? Wir denken: ja.

Fortsetzung folgt …

Seien Sie auch nächste Woche wieder dabei, wenn Jean-Michel Tourette vorschlägt, an „some breathing stuff“ zu arbeiten, Mark Tavassol die „Masterkeyboard-Schrott-Competition“ ausruft, wenn Ian Davenports mysteriöse Vergangenheit mit Tanita Tikaram aufgedeckt sowie endlich ein für allemal geklärt wird, was Oboe auf Englisch heißt.