Videodreh “23.55: Alles auf Anfang”

5.45 Uhr morgens: Pola und ich schleichen mit angehaltenem Altem durch die Wohnung, streifen die am Abend zuvor herausgelegten Kleider über, schnappen uns möglichst raschelarm unsere Rucksäcke, machen uns KEINEN lauten Kaffee und huschen aus der Tür – vom Tiefschlaf bis in den Flur: 3 Minuten. Als wir im Flur stehen macht es laut HOOOOOOOONK!!!! Das war Danny, er hat, O-Ton, dann irgendwie doch geklingelt. Im Schlafzimmer hört man ein Kind hüsteln, und eine Babysitterin fluchen. Wir huschen, denn mal ehrlich, was bleibt uns übrig.

Im vor unserer Tür geparkten Sprinter warten zwei Co -Helden mit stecknadelgroßen Augen, eine verblüffend gut aufgelegte Soraya mit ihrem riesigen Make -Up -Koffer zwischen den Knien und ein entschuldigend grinsender Danny. “Tanke,” knarzt Pola. er meint: “Kaffee! Croissant! Aber dalli” Wir rutschen durch den Schnee zur Tankstelle, betanken uns, und mit wohlig verbrühten Lippen werden auch wir endlich warm. “Wie geht´s?” fragt jemand. Jemand anderes schläft.

Wir schleichen uns aus dem verschneiten Berlin heraus auf die Autobahn, wieder von der Autobahn herunter, über kurvige, holperige Brandenburger Landstraßen bis wir an einen Feldweg kommen. “Westernsta… Templ…” steht auf dem verschneiten Schild, fehlte noch, dass es schief herunterhinge, mit Einschusslöchern – wir sind da.

Mir geht´s irgendwie nicht so. Meine Beine wackeln verdächtig, als ich aus dem Sprinter steige, der Schnee unter meinen dicken Stiefeln und ich, wir knarzen synchron.  Mir ist, als würde ich Glocken hören, oder vielleicht eine Mundharmonika? Die Westernstadt Templin liegt unter einem dicken weißen Mantel, ein paar verlorene Gestalten stehen an den Häuserecken und pusten sich auf die eisigen Hände.

Der Saloon in seiner albernen Originaltreue entreißt uns dann doch ein Jauchzen, dass allerdings zu eisigen Wolken gefriert und klirrend zu Boden fällt. “Rrrwawawawa!! Heizlüfter!!!” sagt die gereizte Diva, nämlich ich. Schlafmangel macht irgendwie weniger leidensfähig. Aber macht er auch, ähm, latente Übelkeit? Denken wir nicht drüber nach. Doch da springt unser Regisseur Micky auf uns zu, Zuversicht versprühend und aufgekratzt, das wird gleich warm, sagt er, und habt ihr die Komparsen schon gesehen, und ist das nicht geil hier??? Aber hey, der hat ein drei Wochen altes Baby, der schläft eh nie…

In einer Ecke steht Lars Rudolph in einem Daunenanorak und sieht dabei so filmogen aus, dass man sofort eine Kamera auf ihn richten möchte, ach was soll´s: eine Kamera sein möchte.. Ich umarme ihn kurz, nur nicht zu lange, denn der Daunenanorak hat einfach zu viel Ähnlichkeit mit einem… weichen… Kopfkchrrrrr…. Aber wer wird schon schlafen, oder sich gar beschweren, wenn der wunderbare Lars das Ganze mit freundlicher, ja freudiger Gelassenheit trägt, und dass, nachdem er schon im Sommer einen ganzen Tag mit uns im Sumpf verbracht hat und schreiend durch den Schlamm gewatet ist, Gewehr im Anschlag?

Ich muss heute offensichtlich sowieso nicht viel, zumindest erstmal nicht. Nach und nach werden die Jungs eingekleidet, samt der ausschließlichen männlichen Komparserie. Gehröcke werden verglichen, zu kleine Schuhe verflucht, Hüte bejubelt – und vor Allem, liebe Pazifistenfreunde: es werden Colts gewirbelt, und zwar nicht zu knapp. Ihr würdet nicht glauben, wie begeistert sich diese Band im Gebrauch von Schusswaffen übt, wenn es drauf ankommt. Ich sitze währenddessen mit Soraya in der Maske und kriege in einer etwa zweistündigen Prozedur einen riesigen Turm von Haaren auf den Kopf gebaut, inklusive eines künstlichen Haarteils, das aussieht wie ein Vogelnest, aber mit meinen eigenen Haaren kaschiert wird. Am Ende der Baumaßnahmen sehr ich aus wie Claudia Cardinale. Wie Claudia Cardinale, die was Falsches gegessen hat, was durchaus nicht unrealistisch ist, denn damals, zu Zeiten des guten alten Spaghetti -Westerns, haben Schauspielerinnen ja noch hin und wieder was gegessen. Spaghetti zum Beispiel. Ich sage immer noch niemandem ein Sterbenswörtchen davon, dass mir irgendwie übel ist. Noch nicht mal mir selber. Dann müsste ich ja auch darüber nachdenken, dass die Kinder beide in der letzten Woche jeweils eine Nacht lang die Kotzgrippe hatten.

8.30 Uhr: Die erste Szene, die gedreht wird, ist ausgerechnet die, auf die Mark sich seit Wochen vorbereitet, aufgeregt wie ein Schuljunge:

Die Watschnszene!  Unsere Hommage an die Filme von Terence Hill und Bud Spencer, genauer gesagt: Sie nannten ihn Nobody.

Und wie Mark sich vorbereitet hat. Der Mann zieht schneller als die Schatten unter meinen Augen! Beinahe bekommen wir Mitleid mit Lars, der sich hochprofessionell vom süffisant grinsenden Mark vermöbeln lässt… Und ja, falls ihr euch das gefragt haben solltet: die Szenen sind teilweise beschleunigt. Aber nicht sehr! Mir wird ob der Geschwindigkeit des Gewatschtes, na was wohl: übel. Trotzdem stehe ich am Rand, einen Daumen oben , mit der  anderen Hand halte ich eine Kamera.

11.30: Huch, ich bin dran. Wir drehen die Anfangsszene: die Einstellung, in der ich hinter dem Tresen stehe, Lars versucht mich anzuschäkern, und die wilde Horde den Saloon betritt. Auch hier bin ich glücklicherweise nur sehr ausschnittshalber im Bild, denn inzwischen muss ich mich schon in jeder Drehpause hinsetzen. Wobei jedes Mal,wenn ich mich seufzend auf meinen Stuhl fallen lasse, Soraya von hinten in mein Ohr zischt: nicht anlehnen!!! Wegen der Frisur. Und glaubt mir, ich hab versucht mich anzulehnen, und das ist mir sowieso gleich wieder vergangen. Nicht wegen Soraya, sondern wegens der vielen Nadeln in eben jener Frisur. Aber hey, die großartige Beklopptheit meiner wilden Horde und Larsens unfassbare Westernität machen Einiges wett, und für wenige Minuten vergesse ich, darüber nachzudenken, ob es mir wohl besser ginge, wenn ich mich nur endlich übergeben würde.

Zwischen den Takes gibt es unendliche Wartephasen, in denen Komparsen -Gesichtsausdrücke gedreht werden, oder Details des Saloons, oder auch nur irgendwas Technisches gewurstelt. Das Gewarte macht mich völlig alle. Als es das fünfte mal heißt: ein paar Minuten Pause! gehe ich endlich zur Aufnahmeleitern und sage: Mir geht´s, ähm, nicht so gut, und, ähm, wenn ihr wüsstet, dass ihr mich eine halbe Stunde nicht braucht, dann würde ich mich mal hinlegen… Halbe Stunde geht, sagt sie. Ich wanke vom Set ins Nebenzimmer und lasse mich, Nadeln hin und her, auf eine Matratze fallen, die sich aber dummerweise dreht. Und übrigens, Nadeln hin oder her ist leicht gesagt, die Nadeln sagen: Nadeln her, also hier. Und da und da und da. Aber hey: lieber zehn Nadeln im Hirn als einen Krampf im Nacken, oder? Oder nicht? Jemand kommt und deckt mich zu, und stellt mir einen schwarzen Tee neben den genadelten Kopf.

Etwa anderthalb Stunden später werde ich aus meinem Dämmerzustand geholt, jetzt bräuchten sie mich dann doch langsam mal wieder – es wird gepokert! In meinem Fall: zu hoch. Ich verschwinde erstmal auf die Toilette. Um einige wellige Käsebrötchen leichter bringe ich die ersten Takes der Pokerszene mit Anstand hinter mich – das Pokerface kommt mir entgegen. In den Drehpausen lege ich die Stirn auf den Pokertisch, nur die allgemeine Erheiterung um Polas “Kartentrick” -Szene (Pola zieht grandiose Grimassen, die Karten werden von einem professionellen Zauberer und Kartentrickser durch die Gegend gewirbelt) erwecken für kurze Zeit meine Lebensgeister.  Überhaupt: das subtil -behämmerte Minenspiel von Lars und meinen Co -Helden hilft mir, so was wie Galgenhumor zu bewahren. Auch als Lars mir acht mal hintereinander die Halskette mit dem Herz vom Leib reißt, bis wir rausgefunden haben, wie man so was präpariert, so dass es einem nicht (!) die Haut vom Nacken raspelt.

Die nächsten Stunden verschwimmen für mich in einem  elenden Dämmerzustand, wenn ich gebraucht werde, verschwinde ich kurz auf die Toilette, um für etwa 40 Minuten einigermaßen zu funktionieren, ansonsten sitze ich schwankend auf einer Bank und lege die Stirn, die nadelfreie, in eine aufgestützte Hand. Soraya sitzt derweil händeringend neben mir und pudert mir jedes Mal wenn ich aufschaue die Stirn. Ansonsten schlägt sie mir mit einem kurzen Stock auf die Finger, wenn ich mir die Augen reiben möchte. In aller Freundschaft.

Dann ist es so weit: Micky kommt zu mir, legt mir eine Hand auf die Schulter und sagt: “Ähm, du müsstest jetzt tanzen. Und das hier ist mein Kumpel Coyote, er ist Stuntman, und er zeigt jetzt den Anderen, wie die Waffen funktionieren. Hast du Ohrenstöpsel dabei?”

ENDE erster Teil. Teil II, “The Shooting and The Shining” folgt in Kürze.